Nebelwald

Nebelwald

Es ist ein trüber Morgen im November. Der Blick auf den Wetterbericht sagt neben einer geschlossenen Wolkendecke auch ein flächendeckendes Nebelgrau voraus, das vermutlich den ganzen Tag anhalten wird. Und mein darauf folgender Blick aus dem Fenster bestätigt diese Vorhersage. Grau. Nebelgrau. Nebelgrauer Nebelwald. Wo sind nur die schönen und sonnigen Herbsttage hin? Vorbei ist der behagliche goldene Oktober, seit heute hat der Nebel den Wald, die Wiesen und den See von Moulin-Grillot fest im Griff.

Eine tiefe Ruhe legt sich über das Land und lädt uns ein zum Innehalten. Da fällt mir grad das Gedicht von Theodor Storm ein, wo er von einer grauen Stadt am grauen Meer erzählt, seiner Heimatstadt Husum an der Nordsee, die gerade im Spätherbst öfter mal Nebelgrau daher kommt. Und er liebt seine Stadt trotzdem – oder gerade auch deswegen.

Wir haben heute einen längeren Spaziergang gemacht und ich habe dabei den Focus auf die heute etwas andere Sicht auf die Natur gelegt. Der Nebel zwingt unseren Blick in die Nähe, ja er versperrt uns den weiten Blick geradezu. Plötzlich springen mir Kleinigkeiten ins Auge, die ich zwar schon oft gesehen, aber bei Sonnenschein nie so intensiv gewürdigt habe wie heute. Ganz junge Tannenbäumchen zum Beispiel, zahlreich – und ich frage mich, während ich sie genauer anschaue, wie sie den Winter wohl überleben werden. Jeder Fuss von Menschen und grösseren Tieren kann ihnen zum Verhängnis werden, sie stehen wehrlos am Boden, festgewachsen und nicht in der Lage, die Flucht anzutreten, falls es nötig sein sollte. Grade mal 10 Zentimeter gross, wollen sie alle irgendwann eine stattliche Tanne werden. Vermutlich wird es nur den wenigsten gelingen.

Oder die Seen, an denen wir vorbeigekommen sind. Wir wissen zwar, dass sie da sind, der Nebel und die Wasseroberfläche aber gleichen sich farblich einander an. Grau in Grau kommen sie einträchtig daher und wir können nur erahnen, was sich am gegenüberliegenden Ufer abspielt. Der Nebel zeigt uns Menschen deutlich, wie wenig wir eigentlich wirklich sehen und erkennen. Es ist auch nicht wichtig

Im weiss-grauen Nebel werden uns auch die Farben des Spätherbstes viel mehr ins Bewusstsein gerückt. So viele verschiedene Braun- und Grüntöne, die letzten gelben oder rötlichen Blätter an den Bäumen, die Welt ist immer noch bunt, nur anders, einfacher, natürlich farbenfroh, ganz ohne die Ablenkung durch Weite, durch das Blau des Himmels und durch den Sonnenschein.

Aber nicht, dass ihr jetzt auf die Idee kommt, ich könnte kein Sonnenfan mehr sein. Nein, ganz im Gegenteil. Ich liebe den Sonnenschein und die Wärme nach wie vor. Aber ich denke, wir Menschen brauchen vielleicht tatsächlich auch hier manchmal eine kurze Auszeit: Das schöne Wetter steht für das Leben im Aussen, den unbehinderten Blick in die Ferne und das neblige Grau dagegen symbolisiert den Blick auf die kleinen Schönheiten am Wegesrand und für die Auseinandersetzung mit dem eigenen Inneren, da der Blick ins Aussen durch den grauen Nebel versperrt ist.

Wenn es im Aussen neblig und ruhig wird, ist die beste Zeit für praktizierte Stille. Habt ihr euch schon mal überlegt, wie einfach alles auf dieser Welt wäre, wenn es immer so still und neblig um uns herum wäre? Fest eingepackt in Nebelschwaden, jeder mit sich und seinem Innersten beschäftigt, Probleme könnten aufgelöst, das menschliche Miteinander gestärkt und Kriege beendet werden. Das WIR würde wieder mehr Beachtung finden und das menschliche Miteinander stünde vielleicht wieder da, wo es sein sollte, im Mittelpunkt.

Nebelgrau.

Leise.

Vorbei sind die schönen Sommertage,

vorbei der goldene Oktober.

Nebelgrau der Wald

Verhangen und kalt

Zeit der Stille

Zeit für DICH

Auf

Geniess den Nebel

Er umhüllt dich

Er zeigt

Was wirklich wichtig ist

Natur!

Du!

Ich!

Wir!

Alle zusammen und doch jeder für sich.

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